Einheit im Verzicht soll gesetzlich erzwungen werden

von Herbert Thomsen

Nach der Entscheidung des 4. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Juni, das Prinzip der Tarifeinheit in einem Betrieb aufzuheben, schlagen Politiker aus den bürgerlichen Parteien eine Änderung des Grundgesetzes vor, um letztlich den dominanten DGB Gewerkschaften das Tarifmonopol zu erhalten bzw. wiederherzustellen.
Bereits am 4. Juni hatten sich DGB und der Bundesverband der Arbeitgeberverbände (BDA) darauf verständigt eine gemeinsame Gesetzesinitiative zur Ergänzung des Tarifvertragsgesetzes vorzuschlagen, mit dem Ziel, das Prinzip „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ zu zementieren.
Argumentativ wird dabei von DGB Chef Sommer, BDA Chef Hundt bis zu PDL Chef Ernst,vor der Spaltung der Belegschaften, der Gefährdung des innerbetrieblichen Friedens und Lohndumping, etwa durch Tarifabschlüsse der christlichen Gewerkschaften gewarnt.

Betroffen von einer solchen gesetzlichen Regelung wären zur Zeit vor allem die Gewerkschaft der Lokführer (GdL),die Vereinigung der Ärzte, der Marburger Bund und die Vertretung der Piloten, denen es gelungen ist, von den DGB Gewerkschaften abweichende Tarifverträge für ihre Mitglieder und Berufsgruppen abzuschließen. Diese Tarifverträge sollen nach DGB / BDA Vorstellungen mit ihrem Auslaufen ihre Gültigkeit verlieren. Diese Berufsgewerkschaften wären dann gezwungen, mit den jeweiligen DGB Gewerkschaften eine Tarifgemeinschaft zu bilden und letztlich auch deren Abschlüsse zu übernehmen, denn nach den Vorstellungen von DGB / BDA soll nach dem Abschluss des Tarifs der Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb wieder die Friedenspflicht gelten. Abweichende Streiks, etwa der GDL für die Lokführer, nach einem Abschluss durch die DGB Gewerkschaft Transnet, wären dann rechtswidrig und könnten durch Schadensersatzansprüche der Bahn, wegen dann illegal durchgeführtem Streik, zur Zerschlagung der entsprechenden Berufsgewerkschaft führen.

Weitgehend unstrittig ist die Erkenntnis, dass die größtmögliche Einheit der Lohnabhängigen eine wesentliche Voraussetzung ist, in den Auseinandersetzung gegen das Kapital zu bestehen. Einheit ist aber nur eine dieser Voraussetzungen. Die wichtigste Bedingung für erfolgreiche Kämpfe ist jedoch die inhaltliche und organisatorische Einstellung der Aktiven, solche Kämpfe auch tatsächlich führen zu können. Einheit im Kampf wäre zu unterstützen – Einheit im Verzicht und Kapitulation vor den Kapitalinteressen nützt nur den Herrschenden.

Ein Blick in die tarifliche Wirklichkeit der letzten 10 bis 15 Jahre ist daher angebracht, um die Vorschläge von DGB / BDA auf ihre voraussichtliche Wirkung für die Lohnabhängigen zu beurteilen.

DGB Gewerkschaften – ein Bollwerk gegen die Willkür des Kapitals?
Die DGB Gewerkschaften sind ein Bollwerk gegen die Macht und die Zielstellungen des Kapitals den Profit zu mehren, den Arbeitstag zu verlängern und den Lohn zu senken. Deshalb ist es geboten, diese Einheitsgewerkschaften zu stärken und unter keinen Umständen zu spalten. So oder ähnlich formuliert es mancher Gewerkschaftsaktivist.

Die Frage ist jedoch, ob dies den bundesdeutschen Einheitsgewerkschaften unter rechtssozialdemokratischer Führung, in den letzten Jahrzehnten tatsächlich gelungen ist. Ein Blick ist deshalb auf die vergleichbaren europäischen Länder zu richten.

Quer durch fast alle entwickelten kapitalistischen Länder ist eine Tendenz der Umverteilung zugunsten des Kapitals festzustellen. Insbesondere seit dem Zusammenbruch des „realsozialistischen“ Blocks hat sich diese Tendenz verstärkt. Es gab keine Außenkonkurrenz mehr, die das Kapital zu Zugeständnissen hätte veranlassen können. Allein die Durchsetzungs- und Verteidigungsfähigkeit der Arbeiterbewegung, vornehmlich der Gewerkschaften, hat den Umverteilungsabsichten des Kapitals Einhalt gebieten können oder die Angriffe zumindest teilweise ausbremsen können.

Als Kriterien für erfolgreichen oder erfolglosen Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals sollen im europäischen Vergleich folgende Kennzahlen verglichen werden:

  • die Lohnquoten am Volkseinkommen
  • die Entwicklung der Nettolöhne
  • die Entwicklung des Niedriglohnsektors
  • soziale Mindeststandards (Rente und ALG II)
  • Die Entwicklung der Lohnquoten, Anteil der Lohn- und Transferzahlungen am Volkseinkommen, in Europa 2000 zu 2008

    Griech. Irland Italien Dänem. Frankr. GB Niederl. Österr. BRD
    + 4 + 3,1 + 2,2 +1,5 – 0,4 – 0,8 -1,5 – 3,6 – 11

    Die Entwicklung der Reallöhne in Europa 2000 zu 2008

    Griech Irland Italien Dänem. Frankr. GB Niederl. Österr. BRD
    + 39,6 + 30,3 + 7,5 + 19 + 9,6 + 26,1 + 12,4 + 2,9 – 0,8

    Die Entwicklung des Niedriglohnsektors 1997 zu 2007
    Anteile der Lohnabhängigen in Prozent, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind.

    Dänemark Frankreich Niederlande GB BRD
    1997 8 % 10 % 15 % 20 % 15 %
    2007 8,5 % 11 % 17 % 21 % 23 %

    Die Bundesrepublik weist den höchsten Anteil und vor allem die schnellste Zunahme des Niedriglohnsektors auf. Darüber hinaus haben die dort beschäftigten KollegInnen in Deutschland im oben aufgeführten Zeitraum einen Reallohnverlust zwischen 14 und 17 Prozent hinnehmen müssen.

    Bezogen auf den möglichen gewerkschaftlichen Widerstand gegen die Absenkung der Renten ( Riester Rente und Verlängerung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre) und bei der Einführung von Hartz IV, konnte der Widerstand des DGB mit der Lupe gesucht werden. In der Hartz Kommission wirkten zwei Gewerkschaftsfunktionäre mit und verglichen mit dem gerade in Frankreich durchgeführten Aktionstag gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters von 60 auf 62 Jahre, mit ca. 2 Millionen Streikenden, fiel der Widerstand des DGB geradezu minimalistisch aus.

    Zusammenfassend ist dabei unzweifelhaft festzustellen, dass die DGB Gewerkschaften mit ihrer Kooperationspolitik, insbesondere in der Regierungszeit Schröder, die relativ höchsten Umverteilungsverluste der Lohnabhängigen, SozialtransferempfängerInnen und Erwerbslosen in Deutschland, im Vergleich zu Lohnabhängigen in anderen europäischen Ländern, nicht verhindert haben und dies auch wohl nicht wollten. Dabei ist zudem auf die ebenfalls schlechten Ergebnisse von Widerstand im Umverteilungskampf in den Ländern zu verweisen, die, ähnlich wie Deutschland, über einen Gewerkschaftstyp „Einheitsgewerkschaft unter rechtssozialdemokratischer Führung“ verfügen. Hier sind zu nennen Österreich und die Niederlande.

    Demgegenüber scheinen die von kleinen Richtungsgewerkschaften in einigen Ländern angestoßenen Verteidigungskämpfe wesentlich erfolgreicher gewesen zu sein.

    Die Strategie des deutschen Kapitals – der Weg zum Exportweltmeister
    oder die “deutsche Sonderstellung in der Lohnpolitik.

    Die in der gegenwärtigen Berichterstattung um die Gefährdung des Euro ertappten Defizitsünder Griechenland, Spanien, Portugal und Italien haben zweierlei gemeinsam: riesige Haushaltsdefizite und ein gigantische Außenhandelsdefizit in der Bilanz zu Deutschland und einigen anderen exportorientierten Volkswirtschaften, wie den Niederlanden. Beides hängt unmittelbar zusammen und hat seinen Ausgangspunkt im Aufstieg Deutschlands zum Exportweltmeister.

    Die verbesserten Konkurrenzbedingungen des Deutschen Kapitals basieren in erster Linie auf dem Lohnstückkostenvorteil, den sich das deutsche Kapital durch sinkende Reallöhne und den massivsten Ausbau des Niedriglohnsektors geschaffen hat. Dazu beigetragen hat auch die Politik vergangener und heutiger Bundesregierungen, die insbesondere seit 2000 mit der großen Steuerreform des Herrn Eichel, das deutsche Kapital von gigantischen Steuerzahlungen befreit hat und mit tiefen Einschnitten in das Renten- und Gesundheitssystem, allein den Lohabhängigen steigende Kosten bei Rente und medizinischer Versorgung auferlegte.
    Wesentlich sind auch die Lohnzurückhaltungen der Gewerkschaften gewesen. Dieses wurde Ihnen selbst von Arbeitgeberpräsident Hundt öffentlich bescheinigt und die DGB Führungen wurden vom ihm dafür ausdrücklich gelobt.

    Anstieg der Lohnstückkosten
    in Resteuropa 2000 zu 2008 + 19 Prozent
    Deutschland 2000 zu 2008 + 3 Prozent

    Die Lohnstückkosten in Deutschland liegen 13 Prozent unter dem EU-Durchschnitt. Faktisch ist Deutschland damit zu einem Niedriglohnland innerhalb der hochentwickelten Industrieländer geworden.

    Das Forschungsinstitut der DGB eigenen Hans Böckler Stiftung nennt das Desaster der Nettolohnentwicklung der in Deutschland Beschäftigten „die lohnpolitische Sonderstellung Deutschlands“ in Europa. Kritische Nachfragen zu den Ursachen dieses lohnpolitischen Offenbarungseides der DGB Gewerkschaften sucht man dort vergeblich.

    Das deutsche Kapital machte sich, angeführt von den global agierenden Konzernen, Mitte der 90iger Jahre daran, seine aggressive Exportstrategie durch die Verbesserung der Standortfaktoren zu beschleunigen. Geführt wurde diese Debatte unter der Überschrift der notwendigen Begrenzung und Senkung der Lohnnebenkosten. Damit war jedoch die Reduzierung der sozialen Sicherungssysteme gemeint. Diese Verzichtsstrategie für die Lohnabhängigen wurde vom damaligen IG Metall Vorsitzenden Zwickel bereitwillig aufgegriffen.
    Diese Strategie erwies sich für das Kapital als sehr erfolgreich. In den Jahren 2001 bis 2007 stieg das Volkseinkommen um 266,2 Milliarden Euro. Davon eigneten sich die BezieherInnen von Unternehmensgewinnen und Vermögenseinkommen 203,2 Milliarden Euro oder 76,4 Prozent des Zuwachses an. Auf die Lohnabhängigen und TransverleistungsbezieherInnen entfielen 23, 6 Prozent oder 62,9 Milliarden Euro.

    Außenwirtschaftlich wirkten sich die verbesserten Profitbedingungen im Standort Deutschland ebenfalls für das Kapital aus. Mit einem Handelsbilanzüberschuss zwischen 120 und 144 Milliarden Euro jährlich nach dem Jahre 2000, wurde die industrielle Konkurrenz, insbesondere in Europa und den USA, aus dem Rennen geschlagen. Damit verbunden ist jedoch auch der Export von Arbeitslosigkeit und privaten und öffentlichen Defiziten in andere Länder.

    Die politische Durchsetzung der wesentlichen Ziele des Kapitals zur Verbesserung der Profit- und Standortbedingungen wurde erkauft über die negative Lohnentwicklung bei den Beschäftigten, insbesondere der Ausweitung von Niedriglohn und prekärer Beschäftigung.

    Bei der Beschwörung dieser Exportstrategie und imperialen Marktdurchdringung anderer Länder sind sich DGB und BDA weitgehend einig. DGB Chef Sommer ließ am 4. Juni 2010 zur Begründung der gemeinsamen Gesetzesinitiative mit den Kapitalvertretern verlauten: „Was Bürgerinnen und Bürger jetzt brauchen, sind Signale, dass nicht alles aus den Fugen gerät. Sie suchen Stabilitätsanker, die Ihnen Sicherheit bieten. Sie wünschen sich, dass zum Wohle des Landes zusammengearbeitet wird, auch von jenen, die unterschiedliche Interessen
    vertreten ..

    „. „Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände übernehmen Verantwortung in der Krise. Sie arbeiten zusammen, wo dies möglich und nötig ist. Sie suchen gemeinsam nach Lösungen, wenn es Problem gibt und unterstützen die Politik, wo es sinnvoll und geboten ist. Das galt für die Maßnahmen in der Krise, für das Kurzarbeitergeld, die Konjunkturpakete und die Abwrackprämie – hier hat sich Sozialpartnerschaft bewährt. Das gilt es jetzt bei der Sicherstellung der Tarifeinheit im Betrieb fortzusetzen.“

    Insbesondere die Abwrackprämie war eine Förderung der Automobilindustrie aus Steuermitteln und die Konjunkturpakete enthielten erhebliche Umverteilungseffekte, wie etwa die Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers.

    Rückblickend bleibt festzuhalten, dass die DGB Gewerkschaften durch ihren Kampfverzicht bei Tarifauseinandersetzungen um höhere Löhne und die Abwehr gesetzlicher Verschlechterungen in den Sozialgesetzen, wesentlich zur Umverteilung zu Gunsten des Kapitals und seiner Exportoffensive beigetragen haben. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich das Kapital (BDA) in Person mit ihrem Chef Hundt, führende Politiker aus CDU, FDP und SPD die Fortsetzung dieser Umverteilung durch Sicherung des „Verzichtsmonopols“ des DGB wünschen. Dazu werden sie sicherlich bereitwillig das Grundgesetz bzw. das Tarifvertragsgesetz ändern, um unliebsame Konkurrenz neben dem „Verzichts-DGB“ zu verhindern. Dabei ist der weitsichtigen Handlungsstrategie der Herrschenden zu unterstellen, dass ihre Monopolsicherung bei Löhnen nicht vorrangig auf die Berufsgewerkschaften der Ärzte und Lokführer zielt, sondern verhindern soll, dass sich mittelfristig in Deutschland neben dem DGB, linke, kämpferische Gewerkschaften bilden, wie dies in anderen europäischen Ländern der Fall ist. Dort sind es vor allem die kommunistische Pame in Griechenland, die SUD Gewerkschaften in Frankreich oder die COBAS in Italien, um nur einige zu nennen, die es in den letzten Jahren vermocht haben, in diesen Ländern mit ihren Initiativen Widerstand zu entfachen und auch die traditionellen Gewerkschaften aus dem sozialdemokratischen bzw. postkommunistischen Spektrum gezwungen haben sich an landesweiten Streiks bzw. Demonstrationen zu beteiligen.

    Karl Marx zu den Aufgabe der Gewerkschaften

    „Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkt des Widerstandes gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“

    Soweit Karl Marx in seinen Schlussbemerkungen zu „Lohn, Preis und Profit“.

    Heute ebnen die DGB Gewerkschaften den Weg zur Sicherung des Standorts Deutschland im Interesse des Großkapitals. Damit verfehlen sie nicht nur einen Zweck im Sinne der Lohnabhängigen – im Gegenteil, sie richten sich gegen deren Interessen.